Ihr kennt das sicher: Man liest über Angststörungen und immer geht es um „Nerven“, um „Schaltkreise“ und „Botenstoffe“. Man hat das Gefühl, die eigene Verkabelung im Kopf sei irgendwie falsch gelötet.
Aber was, wenn das gar nicht (nur) an den Nerven liegt? Was, wenn der eigentliche Auslöser ganz woanders sitzt – nämlich im Immunsystem eures Gehirns?
Eine brandneue Studie der University of Utah Health, die gerade in der Fachzeitschrift Molecular Psychiatry veröffentlicht wurde, stellt gerade alles auf den Kopf, was wir über Angst wussten. Und für uns „Panik-Reisende“ ist das extrem spannend.
Die Überraschung: Es sind nicht immer die Neuronen
Bisher dachten Forscher und Ärzte fast immer an Neuronen (die klassischen Nervenzellen), wenn es um Angst ging. Die neue Studie sagt jetzt aber: Moment mal! Es gibt da noch andere Zellen, die sogenannten Mikroglia. Das sind eigentlich Immunzellen. Die Putzkolonne im Gehirn, die Abfall beseitigt und das System gesund hält. Aber wie sich jetzt herausstellt, sind diese kleinen Helfer auch die Türsteher für unsere Angst.
Das Gaspedal und die Bremse
Die Forscher haben bei Mäusen etwas Erstaunliches entdeckt, das sich sehr wahrscheinlich auf uns Menschen übertragen lässt. Es gibt zwei Teams dieser Immunzellen:
1. Das Gaspedal (Nicht-Hoxb8-Mikroglia): Diese Zellen lösen Angst aus. Wenn sie allein das Sagen haben, verfallen wir in Panik, zwanghaftes Verhalten und ziehen uns zurück.
2. Die Bremse (Hoxb8-Mikroglia): Diese Zellen sind die „Cool-Down“-Truppe. Sie verhindern Panik und sorgen für Ruhe.
In einem gesunden Gehirn arbeiten beide Teams perfekt zusammen. Das Gaspedal warnt vor Gefahr, die Bremse sorgt dafür, dass wir nicht durchdrehen. Die Angst ist genau richtig dosiert.
Aber – und jetzt kommt der Punkt, der mir persönlich die Augen geöffnet hat:
Wenn das Immunsystem im Kopf „krank“ ist, gewinnt die Angst
Die Studie zeigt: Wenn die „Brems-Zellen“ fehlen oder defekt sind, drückt das andere Team das Gaspedal voll durch. Der Forscher Dr. Donn Van Deren nennt das einen „Paradigmenwechsel“. Er sagt ganz klar: Ein defektes Immunsystem im Gehirn kann zu Angststörungen führen.
Lest euch diesen Satz nochmal durch.
Das bedeutet: Deine Panikattacke ist vielleicht keine „psychische Schwäche“. Sie ist vielleicht die Folge einer Dysbalance in deinem zellulären Immunsystem. Das ist körperlich. Das ist greifbar.
Warum das Hoffnung macht
Dr. Mario Capecchi, Nobelpreisträger und Mitautor der Studie, sagt etwas sehr Wichtiges:
Aktuelle Medikamente zielen fast nur auf Neuronen ab. Aber wenn wir wissen, dass Immunzellen die eigentlichen Treiber sind, können wir in Zukunft Medikamente entwickeln, die genau dort ansetzen: Die Bremse stärken oder das Gaspedal dämpfen.
Wir sind zwar noch nicht ganz da, wo wir diese Tabletten in der Apotheke kaufen können, aber die Richtung stimmt.
Was ich daraus lerne
Wenn ich das nächste Mal unterwegs bin und merke, wie die Panik hochkriecht, werde ich mir vorstellen, dass da oben gerade mein Immunsystem ein bisschen überreagiert. Dass meine „Hoxb8-Bremse“ vielleicht gerade klemmt.
Es nimmt mir das Gefühl, „verrückt“ zu sein. Es ist ein biologischer Prozess. Und bis die Wissenschaft die passenden Medikamente dafür hat, sind wir weiterhin unsere eigenen Helden. Wir schaffen es, unseren Alltag und unsere Reisen zu meistern – auch wenn unser inneres Gaspedal manchmal klemmt.
Bleibt mutig!
Euer Chris
Quellen
Dieser Artikel basiert auf den Forschungsergebnissen der University of Utah Health, veröffentlicht in Molecular Psychiatry.
Originalbericht: Research in Mice Reveals Brain Cells Drive and Prevent Anxiety


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